Praktisches Christentum ist die Offenbarung eines neuen Lebens; eines geistlichen Lebens (im Vergleich zu einem intellektuellen und moralischen); eines übernatürlichen Lebens (im Vergleich zu einem natürlichen). Es ist ein Leben der Heiligkeit und des Friedens; ein Leben der Verbindung und Gemeinschaft mit Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Es ist ewiges Leben, welches mit der Wiedergeburt beginnt und seinen Höhepunkt in der Auferstehung findet. Es ergreift den innersten Kern der menschlichen Persönlichkeit, befreit ihn von der Herrschaft der Sünde und bringt ihn in eine lebenswichtige Verbindung mit Gott in Christus. Von diesem Zentrum aus wirkt es wie eine läuternde, veredelnde und steuernde Kraft über alle Fähigkeiten des Menschen – die Emotionen, den Willen und den Verstand – und verwandelt selbst den Leib in einen Tempel des Heiligen Geistes.
Das Christentum erhebt sich in der Theorie und Ausübung der Tugend und Frömmigkeit weit über alle anderen Religionen. Es legt den höchsten Maßstab der Liebe fest, Gott und Menschen gegenüber, und das nicht nur als eine abstrakte Lehre oder als einen Gegenstand der Anstrengung und Hoffnung, sondern als eine lebendige Tatsache in der Gestalt Jesu Christi, dessen Leben und Vorbild mehr Macht und Einfluss hat als alle Grundsätze und Vorschriften der Weisen und Gesetzgeber.
Taten sprechen lauter als Worte. Praecepta docent, exempla trahunt. Die vornehmsten Systeme moralischer Philosophie haben es nicht geschafft, die Welt zu erneuern und zu besiegen. Das Evangelium Christi hat es geschafft und tut es fortwährend.
Der Charakter Christi ist von der Krippe bis zum Kreuz hin ohne Fleck und Tadel. Er ist über jeden Tadel und Verdacht erhaben und wird von Freund und Feind als das reinste sowie weiseste Wesen, das jemals auf Erden erschien, gewürdigt.
Er ist der nächstmögliche Zugang, den Gott zum Menschen und der Mensch zu Gott haben kann. Er stellt die Fülle der vorstellbaren und zu erlangenden Harmonie zwischen dem Ideal und der Realität, zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen dar. Die Lehre und das Leben ihres (der Gemeinde) Gründers sind eine nie versiegende Quelle der Läuterung.
Das vollkommene Leben des Einklangs mit Gott und der Hingabe zum Wohle der Menschheit soll von Christus an Seine Nachfolger weitergegeben werden. Das Leben eines Christen ist eine Nachahmung des Lebens Christi. Aus Seinem Wort und Geist, welche in der Gemeinde leben und regieren, ergießt sich ein ununterbrochener Strom heilbringender, heiligender und verherrlichender Kraft über einzelne Personen, Familien und Völker.
Einer der überzeugendsten Beweise des übernatürlichen Ursprungs des Christentums ist seine Erhabenheit über die natürliche Kultur und die Moral seiner ersten Bekenner – die vollkommene Lehre und das einwandfreie Leben wurden von ungebildeten Fischern aus Galiläa dargestellt, welche nie zuvor außerhalb Palästinas gewesen waren und kaum lesen und schreiben konnten! Und die tiefgründigen Geheimnisse des Himmelreiches, der Menschwerdung, Erlösung, Wiedergeburt und Auferstehung, über welche die Apostel die Ortsgemeinden ärmlicher und ungebildeter Bauern, Sklaven und Freigelassener unterrichteten! Denn „nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme“ wurden berufen, „sondern das Törichte der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich vor ihm kein Fleisch rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht worden ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung, damit [es geschehe], wie geschrieben steht: Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn!“
Wenn wir die moralische Atmosphäre der apostolischen Gemeinden mit dem eigentlichen Zustand des umliegenden Judentums und Heidentums vergleichen, ist der Kontrast so verblüffend wie der zwischen einer grünen Oase mit lebendigen Quellen und hochragenden Palmen und einer öden Sand- und Steinwüste.
Das Judentum beging in seinem höchsten Gerichtswesen das Verbrechen der Verbrechen – die Kreuzigung des Heilands der Welt – und eilte auf sein Verderben zu.
Das Heidentum wurde trefflich von solch kaiserlichen Monstern wie Tiberius, Caligula, Nero und Domitian vertreten und wies ein Bild der hoffnungslosen Korruption und des Zerfalls auf, wie nicht nur der Apostel Paulus es in den dunkelsten Farben beschrieb, sondern auch sein heidnischer Zeitgenosse, der weiseste stoische Moralist, der Lehrer und das Opfer Neros.
Philip Schaff