„Und doch ist es ein beraubtes und ausgeplündertes Volk; sie sind alle in Löchern gefangen, und in Gefängnissen versteckt; sie wurden zum Raub, und niemand rettet, sie wurden zur Beute, und niemand sagt: Gib sie wieder heraus!“ (Jes 42:22)
Nehemia konnte die Verwüstung sehen, als er die zerstörten Mauern Jerusalems besichtigte. Ihm war bange geworden, als ihn die Benachrichtigung über das Elend im Palast erreicht hatte. Seine Ohren hatten gebrannt und sein Appetit hatte nachgelassen, bis seine Unruhe nicht länger vor dem König verborgen bleiben konnte. Da er die Gunst des Königs erlangte, ergriff er die erste Gelegenheit, zu kommen und sich selbst ein Bild von der Zerstörung zu machen. Und nun war es noch schlimmer als er es sich vorgestellt hatte. Was einst stark gewesen, war nun zerstört. Was einst wunderschön gewesen, war ruiniert. Was einst herrlich gewesen, lag jetzt in Trümmern. Was einst Zuflucht vor feindlichen Heeren geboten hatte, war heruntergerissen, so dass Füchse darin spielen konnten. Berge von Schutt lagerten sich so hoch, dass ein Anfang für die Wiederherstellung kaum gefunden werden konnte. Doch schlimmer noch war die Schmach. Härter als der Ruin selbst war es, mitanzusehen, wie die Feinde Gottes in Sein Angesicht lachten und Seine Majestät verachteten! Nehemias Herz zerbrach unter dieser Schmach bis sein Zorn bei den Ältesten Israels Gehör fand. Nicht eher als bis die Mauer gebaut war und die Tore wieder eingesetzt waren, durften sie sich Ruhe gönnen.
Auch wir sehen Verwüstung in der weiten Welt um uns herum: ein beraubtes und ausgeplündertes Volk, verfallende Mauern und die schutzlosen Unterdrückten. Vielleicht war das Bild der Verwüstung niemals schlimmer gewesen. Könnten wir von Land zu Land und von Haus zu Haus reisen, würde jedes neue Bild von Verzweiflung unsere Herzen mit Schmerz erfüllen. Nicht nur eine Nation oder Kultur ist davon betroffen, sondern die gesamte Welt wurde zum Opfer. Die Zerstörung hat die hintersten Winkel der Gesellschaft erreicht und hat Alt und Jung gleichermaßen getroffen. Männer, die stark sein sollten, wurden ihrer Männlichkeit beraubt. Frauen, die hübsch sein sollten, haben ihre natürliche Ausstrahlung gegen künstliche Schönheit eingetauscht. Kinder, die unschuldig sein sollten, wurden verdorben. Alte Männer, die weise Ratgeber sein sollten, haben ihre Weisheit verloren und die Gesellschaft leidet darunter. Regierungen, die das Volk beschützen sollten, ziehen es durch ein Netzwerk der Verdorbenheit. Heime, die ein warmes Umfeld voll Liebe und Sicherheit bieten sollten, sind erfüllt von Betrug, Zwietracht und Haltlosigkeit. Religion, welche Menschen darin unterweisen sollte, wie man Gott anbetet, hat sie weiter von der Wahrheit entfernt und mehr Mauern zwischen ihnen aufgebaut. Die geistliche Armut, die Unwissenheit, die Fesseln der Festungen der Sünde und die große, unbezwungene Finsternis der Irreführung sind schrecklich mit anzusehen. Wo ist es dem Feind nicht gelungen, zu stehlen, zu töten und zu zerstören?
Und doch, welche bessere Plattform als diese könnten wir uns wünschen, auf der wir die Liebe und Macht eines allmächtigen Gottes demonstrieren könnten? Welcher Schauplatz würde sich besser eignen, um Seine glorreiche Majestät zur Schau zu stellen? Ein großes Werk liegt vor uns. Wir haben die Antwort auf alle Probleme der Welt. Wir haben den Schlüssel, der sie von ihren Ketten befreien kann. Es bedarf Herzen, die bereit sind, die Bürde zu tragen, und Hände, die das Werk weiterführen.
Die Schmach der Welt ist unsere Schmach. Die Unterdrückung und Knechtschaft sind unsere. Dies sind unsere Menschen, die sich in der Sklaverei quälen. Dies sind unsere Kinder, die vaterlos und wehrlos gemacht wurden. Dies sind unsere Schwestern und Töchter, die vor den Augen sündhafter Meister zur Schau gestellt werden. Dies sind unsere Mütter, die aus dem Heim geschickt werden, um zu arbeiten. Dies sind unsere Männer, die entmannt wurden; unsere Jungen und Mädchen, die das Recht verlieren, über ihre gottgegebene Geschlechtsidentität Bescheid zu wissen. Dies sind unsere Familien, auseinandergerissen und nach Liebe dürstend. Dies ist unsere Herrlichkeit, die hinweggenommen wird. Dies ist unsere Gesellschaft, gespalten und niedergerissen. Wir wurden noch nicht vollständig wiederhergestellt. Nicht nur unsere kleine Gemeinschaft, sondern die ganze Welt ist unsere Bürde und Verantwortung. Wiederherstellung kann und muss in unserer Familie beginnen, aber sie kann sich nicht vollkommen verwirklichen, bis sie die ganze Welt erreicht hat.
Wir sind der Mose, verborgen vor dem König und gerettet in einem Korb vor dem reißenden Strom, der unser Tod bedeutete. Wir sind die Esther, die durch göttliche Vorsehung in den königlichen Palast gebracht wurde. Die Tatsache, dass unser Leben gerettet und dass unser Zustand bessergestellt ist als der unserer Brüder, gibt uns keine Entschuldigung, uns ein luxuriöses Leben zu gönnen, ohne an ihr Wohlergehen zu denken. Unser Volk befindet sich in einer Krise. Der Grund dafür, dass wir erhoben wurden, ist, damit sie befreit werden können. Wir wurden wiederhergestellt, damit sie wiederhergestellt werden können. Wir leben, um ihnen Leben zu bringen.
Einige unserer Brüder haben den Kampf nicht überlebt und es liegt an uns, ihr Blut zu rächen. Es liegt an uns, mit den Gebrochenen zu weinen, bis die Flut unserer Tränen die vergoldete Fassade des Betruges hinwegschwemmt. Es liegt an uns, mit ihnen zu bluten, bis das blutgetränkte Schlachtfeld mit neuem Samen erblüht. Es liegt an uns, sie im Gebet vor den Thron zu bringen, und dann die Waffen gegen ihre Unterdrücker zu richten, bis das Bildnis, das errichtet wurde, um sie in Bann zu halten, in Bruchstücke zerfällt. Es ist unsere Aufgabe, ihre Hand zu nehmen, sie aus der verfallenden, brennenden Stadt herauszuleiten und sie an einen besseren Ort zu bringen. Hat je ein Zeitalter der Geschichte dem Menschen eine solche Gelegenheit zum Heldentum geboten? Hat irgendeine Zeit je so viel wahre Bruderschaft erfordert wie jetzt? Es ist Zeit, sich mit Gott für die Erlösung unseres Volkes einzusetzen! Möge Gott unsere Herzen mit der Botschaft inspirieren, die sie befreien wird.