Ich lasse euch nicht als Waisen zurück

Unbenannt

Es war der Vorabend der Leiden Christi – Seines Verrats, Seines Verhörs und Seiner schändlichen Kreuzigung. Bei Seinem letzten Abendmahl waren die zwölf Männer versammelt, die Ihm auf Erden am nächsten standen; auserwählte, begabte Männer, mit denen Er in den letzten drei Jahren eng zusammengearbeitet und welche Er persönlich angeleitet hatte. Sie waren gemeinsam auf den staubigen Straßen unterwegs gewesen, hatten sich gemeinsam den drängenden Menschenmassen gestellt und gemeinsam die gnadenlose Kritik der Pharisäer ertragen. Sie hatten Dinge geteilt, die nur sie teilen konnten. Und nun musste Er sie verlassen. Indem sie die bevorstehende Trennung verspürten, muss ein Gefühl der Verzweiflung ihre traurigen Herzen erfasst haben. Es gibt keine Worte, die den Verlust, den sie erlebten, beschreiben könnten. Sie verloren nicht nur einen Freund, einen Mentor und einen Führer, sondern auch denjenigen, welcher der Arbeit, für die sie ihr Leben hingaben, eine Ausrichtung und eine Identität gegeben hatte. Sie verloren einen Vater.

Jesus verbrachte den Abend damit, sie auf Seinen bevorstehenden Weggang vorzubereiten. Er legte ihnen die Verantwortung dar, welche nun auf ihren Schultern ruhte, und Er betete für sie, dass sie in der Einheit unzertrennlich sein mögen. Doch die vielleicht schönste Verheißung, die Jesus ihnen an diesem Abend gab, war das Versprechen, dass Er sie nicht sich selbst überlassen würde: „Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch bleibt in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie beachtet ihn nicht und erkennt ihn nicht; ihr aber erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück; ich komme zu euch.“ (Joh 14:16-18).

Das ursprünglich im Griechischen verwendete Wort orphanos aus Vers 18 bedeutet soviel wie „von ungewisser Verwandtschaft; verwaist („Waise“), d.h. elternlos: trostlos, vaterlos“ (siehe Strong‘s Greek Dictionary G3737).

Jesus würde Sein Volk nicht vaterlos zurücklassen. Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Menschen würde der Platz eines Vaters ausgefüllt werden.

Die Identität der Menschheit ist stärker mit ihren Vätern verwoben als oft angenommen wird. Die Heilige Schrift sagt uns: „Da bildete Gott der Herr den Menschen, Staub von der Erde, und blies den Odem des Lebens in seine Nase, und so wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ (1Mo 2:7). Gott schuf jeden einzelnen von uns voller Sorgfalt und Bedacht, doch formte Er nur einen Menschen aus dem Staub der Erde. Seitdem stammen alle, selbst Eva, von Adam ab. (Siehe Botschaft über „Väter“ von J. Strizu, Oklahoma City, 24. November 2021). Sowohl körperlich als auch geistlich sind wir, ob wir es wollen oder nicht, das Resultat eines Vaters. Unsere Identität findet sich in unserem Vater wieder.

Väter gibt es auf jeder gesellschaftlichen Ebene. Die Schrift erwähnt Jubal, den Vater der Musik, und Jabal, den Vater der Zeltbewohner und Herdenbesitzer (1Mo 4:20-21). Es gibt auch Väter von Gemeinschaften, Stammesväter und Väter von Kulturen. Vom Apostel Paulus lernen wir, dass Gott in der Gemeinde Väter eingesetzt hat: „Denn wenn ihr auch zehntausend Lehrmeister hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn ich habe euch in Christus Jesus gezeugt durch das Evangelium.“ (1Kor 4:15). Niemand von uns ist ein Selfmademan, und wir können keine sinnvolle Identität außerhalb der Menschen haben, die uns geschaffen haben. Der Zusammenbruch der Vaterschaft führt unweigerlich zum gesellschaftlichen Zusammenbruch.

Satan verfolgt eine unermüdliche Strategie, um die Gesellschaft von ihren Vätern zu trennen. Indem er die Vaterschaft auf jeder Ebene angreift, hat er Männer verdorben, Männer moralisch entwürdigt, Väter ihrer Stellung beraubt und Kinder gegen ihre Väter gewandt. Er hat die Männlichkeit als gefährlich und giftig abgestempelt. Er hat das Leitbild für Männlichkeit zerstört und die Rollen von Männern und Frauen sowohl in der Gesellschaft als auch im Heim durcheinandergeworfen.

Durch die Verbreitung der protestantischen Denkweise ist es ihm gelungen, die Menschheit ihres Verständnisses über die von Gott eingesetzte Hierarchie in der Gemeinde und letztlich auch der Hierarchie in der Familie zu berauben. Die Menschen wachsen in dem Glauben auf, dass sie besser dran sind, wenn sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und sich nicht von ihren Eltern leiten lassen, und verstehen nicht, warum sie am Ende Probleme haben und ihre Beziehungen scheitern. Das liegt daran, dass man nicht wissen kann, wie man eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen haben kann, solange man keine Beziehung zu einem wahren Vater hat.

Wahrscheinlich gab es in der Geschichte noch nie eine vaterlosere Generation, und damit eine verlorenere Generation, wie die, die wir heute erleben. Die Gewalt, die Unruhen, die hohen Selbstmordraten, das Misstrauen, der Mangel an natürlicher Zuneigung; so viele Probleme lassen sich auf den Mangel an wahren Vätern im Leben der Menschen zurückführen. Wenn die Verheißung, dass wir nicht verwaist zurückgelassen werden, nur für den Morgen des Evangeliumszeitalters gelten würde, hätte sie diejenigen unberücksichtigt gelassen, die sie am meisten brauchen.

Doch die Prophezeiung schließt auch uns mit ein! „Siehe“, schrieb Maleachi, „ich sende euch den Propheten Elia, ehe der große und furchtbare Tag des Herrn kommt; und er wird das Herz der Väter den Kindern und das Herz der Kinder wieder ihren Vätern zuwenden, damit ich bei meinem Kommen das Land nicht mit dem Bann schlagen muss!“ (Mal 3:23-24).

Die Gesellschaft wird niemals wiederhergestellt werden, solange sie sich nicht ihren Vätern zuwendet. Heime müssen wiederhergestellt werden. Zerbrochene Ehen müssen wiederhergestellt werden. Die geschlechtsverwirrte und verzweifelte Jugend braucht Wiederherstellung. Die religiöse Welt braucht Wiederherstellung. Die Antwort liegt weder in gescheiterten Regierungen noch in der progressiven Politik. Die Antwort liegt in den Vätern, die Gott in der Gesellschaft eingesetzt hat.

Weil die apostolische Gabe wiederhergestellt wurde, kann die Vaterschaft auf allen Ebenen wiederhergestellt werden. Gott hat uns nicht in der Trostlosigkeit zurückgelassen, als Waisen, die nicht wissen, zu wem sie gehören. Er hat uns nicht verlassen, um unsere eigene Identität zu finden, noch brauchen wir ohne Ziel und Ausrichtung durch die Welt zu wandern. Er hat uns nicht vaterlos zurückgelassen.

Sobald wir als Kultur und als Gesellschaft unsere Väter anerkennen, sobald wir ihnen unser Herz schenken, kann die Welt von ihrem Fluch geheilt werden.

 

Schw. Kara Braun

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