Die Verheißung Abrahams
Von Adam über Noah bis hin zu Abraham und den Patriarchen wurde Gottes Verheißung von Generation zu Generation weitergegeben: Ein auserwählter Same würde kommen; die Schlange würde zertreten werden; die Welt würde Erlösung vom Fluch finden. Dann schloss Gott Seinen Bund mit Abraham: Er würde der Vater vieler Nationen werden, und Gottes verheißener Same würde durch seine Nachkommenschaft kommen.
Das Gesetz (mit seinen Tieropfern, seinen Verordnungen und der Stiftshütte), das Mose offenbart wurde, kam erst vierhundertdreißig Jahre später. Es ist wichtig, festzuhalten, dass die Verheißung Abrahams niemals vom Gesetz abhängig war, denn es gab sie schon vor dem Gesetz und dem Tempel. Das Gesetz hatte, wie Paulus den Galatern deutlich sagte, eine befristete Funktion. Es war nicht zeitlos. Es war nur ein „Lehrmeister“ (im Griechischen ein Diener, der ein Kind zur Schule brachte) mit der Aufgabe, Israel dahin zu bringen, dass es Christus empfangen konnte. Wenn Israel dieses festgelegte Erbe erlangt hatte, würde das Gesetz sein Verfallsdatum erreichen und verschwinden (Gal 3:17.19). Das Gesetz war nie völlig ausreichend, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen (Hebr 7:19). Es entsprach nicht dem vollen prophetischen Standard: Erlösung für alle Völker.
Immer wieder übertrat Israel Gottes Gesetz und verfiel den Wegen der sie umbegebenden Völker (Jes 65:2-3). Gott sandte Seine Propheten, um sie an den Bund zu erinnern und eine Zeit vorauszusagen, in welcher der Messias kommen würde, um ein multinationales Israel wiederherzustellen; ein Israel, das von Heiden bevölkert ist (Jes 54:2-3; 65:1); ein Israel, durch das alle Völker der Erde gesegnet werden würden. Dieser Messias würde für immer auf dem Thron Davids regieren. Und Sein letztes Opfer würde den Tieropfern ein Ende setzen (Dan 9:27). Die ganze Welt wartete auf den Messias.
Wer ist der verheißene Same?
Wer würde also die Verheißung Abrahams erben? Paulus antwortet uns sehr deutlich: „Nun aber sind die Verheißungen dem Abraham und seinem Samen zugesprochen worden. Es heißt nicht: ‚und den Samen‘, als von vielen, sondern als von einem: ‚und deinem Samen‘, und dieser ist Christus.” (Gal 3:16).
Christus war derjenige, auf den Abraham wartete (Joh 8:56); und der Glaube an Christus, den verheißenen Samen Abrahams, war das, was das Haus und Geschlecht Abrahams kennzeichnete. „Denn ihr alle seid durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus angehört, so seid ihr Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.“ (Gal 3:26.29). Dieser Glaube war der Unterschied zwischen Nathanael, den Jesus zu einem echten Israeliten erklärte (Joh 1:47), und den Pharisäern, von denen Jesus sagte, sie seien keine Kinder Abrahams, obwohl sie die physische Qualifikation dafür besaßen (Joh 8:39-40). Auf dieser Grundlage konnte Paulus diejenigen als Juden ausschließen, die äußerlich Juden waren, aber diejenigen in die jüdische Abstammung aufnehmen, die im Herzen beschnitten waren (Röm 2:28-29). Der Glaube hat das Gesetz durch Christus ersetzt: „Bevor aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben hin, der geoffenbart werden sollte. Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Lehrmeister“ (Gal 3:23.25). Wer den Glauben Abrahams hatte, war ein Kind Abrahams (Röm 4:9-12).
Wird der Tempel in Jerusalem
wiederaufgebaut werden?
Die Heilige Schrift spricht von zwei verschiedenen Städten, die Jerusalem heißen – ein physischer Ort, welcher der jüdischen Geschichte vertraut ist, und ein himmlischer Ort (Gal 4:25-26). Es besteht kein Zweifel
daran, dass sich die Prophezeiung erfüllen muss; aber wenn wir ihre Erfüllung auf das buchstäbliche Jerusalem beschränken, nehmen wir eine andere Haltung ein als Jesus, der der samaritanischen Frau versicherte, dass Gott nicht nach Anbetern sucht, die Ihm in Jerusalem dienen, sondern nach solchen, die Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten werden (Joh 4:21-24). Jesus predigte ein Reich, das nicht auf einen bestimmten Ort beschränkt sein würde, sondern universell in den Herzen der Gläubigen (Lk 17:20-21) und Er empörte die jüdischen Führer, indem Er ihnen sagte, dass Er in drei Tagen einen Tempel errichten würde, einen Tempel, von dem sie, obwohl sie sich abmühten, dessen volle Bedeutung zu begreifen, richtig erkannten, dass er sich von dem Tempel unterschied, den Herodes gebaut hatte.
Die Autoren des Neuen Testaments verstanden, dass Christus den irdischen Tempel durch ein himmlisches Heiligtum ersetzt hatte (Hebr 9&10), und beschrieben dieses Heiligtum als Gottes Volk, Seinen gereinigten Tempel, in dem Er wohnt (1Kor 3:16-17; 6:19). Sie glaubten, in der Erfüllung der Prophezeiung zu stehen, da sie bereits zu Gottes himmlischem Jerusalem, Seiner Gemeinde, gekommen waren (Hebr 12:22-24).
Werden die Tieropfer wiedereingeführt?
Wenn ja, dann wäre das gegen den Willen Gottes. „Oben sagt er: ‚Opfer und Gaben, Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt, du hast auch kein Wohlgefallen an ihnen‘ – die ja nach dem Gesetz dargebracht werden –, dann fährt er fort: ‚Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun‘. Somit hebt er das Erste auf, um das Zweite einzusetzen.“ (Hebr 10:8-14). Tieropfer konnten niemals Sünden hinwegnehmen. Christus hat sich selbst als das vollkommene Opfer dargebracht. Es gibt keine Notwendigkeit für ein weiteres.
Wird Israel das verheißene
Land wiedererlangen?
Die Verheißung, dass Israel das buchstäbliche Land für immer gehört, muss im Lichte des ursprünglichen Wortlauts verstanden werden, nämlich dass „für immer“ hier nicht „ewig“ bedeutet, sondern lediglich „solange etwas andauert“. Und denke daran, dass Israel als besonderes Volk zusammen mit dem mosaischen Gesetz nur eine vorübergehende Funktion hatte!
Wie verhält es sich mit dem ewigen Bund mit David?
Der Bund ist ewig, weil Christus, der Ewige, die Verkörperung des Bundes ist. Davids Thron wird ewig bestehen, weil Christus, der ewige König, in alle Ewigkeit auf ihm regiert.
„Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, dass er es gründe und festige mit Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ (Jes 9:5-6).
Wird Israel gerettet werden?
Es wird einen Überrest geben, der aufgrund der Gnadenwahl gerettet wird (Röm 9:27; 11:5). Aber es wird auch solche geben, die über den Stein des Anstoßes stolpern und die Gerechtigkeit nicht erlangen, weil sie diese durch die Werke des Gesetzes und nicht durch den Glauben an Christus suchen (Röm 9:32). Diejenigen, die gerettet werden, werden Christus als „das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit“ erkennen (Röm 10:4). „Denn ich will nicht, meine Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt bleibt, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Israel ist zum Teil Verstockung widerfahren, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist; und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: ‚Aus Zion wird der Erlöser kommen und die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden‘“ (Röm 11:25-26).
Schattenbild vs. Gegenstand
Das Gesetz war das, was die Autoren des Neuen Testaments einen Schatten nannten, eine Art Platzhalter für etwas Größeres, das noch kommen sollte. „So lasst euch von niemand richten wegen Speise oder Trank, oder wegen bestimmter Feiertage oder Neumondfeste oder Sabbate, die doch nur ein Schatten der Dinge sind, die kommen sollen, wovon aber der Christus das Wesen hat“ (Kol 2:16-17). „Denn weil das Gesetz nur einen Schatten der zukünftigen [Heils-] Güter hat, nicht die Gestalt der Dinge selbst, so kann es auch mit den gleichen alljährlichen Opfern, die man immer wieder darbringt, die Hinzutretenden niemals zur Vollendung bringen.“ (Hebr 10:1). Ein Schatten ist die Silhouette, die das Licht auf einer Oberfläche erzeugt, wenn es von hinten auf einen Körper oder einen Gegenstand scheint. Er ist der Umriss eines Gegenstandes, eine Darstellung der Form dieses Gegenstandes, aber er ist nicht der Gegenstand selbst. Es gibt viel mehr als die Realität des Objekts, die der Schatten nicht darstellen kann, weil es ihm an Tiefe und Substanz fehlt.
Christus war der Gegenstand der Prophetie. Davon waren die Schreiber des Neuen Testaments überzeugt. Jede Prophezeiung fand in Ihm ihre Erfüllung (Mt 5:17). Indem Er als die Substanz des göttlichen Planes auf die Bühne trat, beseitigte Er den Schatten. Die Verordnungen des Gesetzes hatten nur schemenhaften Wert angesichts der vollen Herrlichkeit Gottes. „Damit erfolgt nämlich eine Aufhebung des vorher gültigen Gebotes wegen seiner Kraftlosigkeit und Nutzlosigkeit – denn das Gesetz hat nichts zur Vollkommenheit gebracht – zugleich aber die Einführung einer besseren Hoffnung, durch die wir Gott nahen können.“ (Hebr 7:18-19).
Zum mosaischen System zurückzukehren, hieße, zu versuchen, den Gegenstand durch einen bloßen Schatten zu ersetzen. Es wäre, wie ein Prediger witzelte, vergleichbar mit dem Warten auf die Ankunft der eigenen Frau am Flughafen, und wenn man sie sieht, rennt man, anstatt sie zu umarmen, um ihren Schatten zu umarmen. Beobachter hätten guten Grund, die geistige Kompetenz in Frage zu stellen. Man mag in den Schatten verliebt gewesen sein, solange der Schatten alles war, was man hatte, aber sich danach zu sehnen, den Schatten wiederherzustellen, wenn einem die Vollendung des Gegenstandes gegeben ist, wäre lächerlich.
Schlussfolgerung
Der Gedanke, dass das Kirchenzeitalter eine Unterbrechung von Gottes Plan für Israel war oder dass die prophetische Uhr irgendwie angehalten wurde, um in einem späteren Zeitalter wieder anzulaufen, kann nur durch eine völlig falsche Auslegung des Neuen Testaments entstehen. Der eigentliche Grund, warum die Juden Christus ablehnten, war, dass Er nicht in ihre buchstäbliche Vision der Prophezeiung passte. Hätte Christus einen buchstäblichen Tempel, buchstäbliche Opfer oder einen buchstäblichen Thron in einem buchstäblichen Jerusalem gewollt, hätten die Juden keinen Grund gehabt, sich Ihm zu widersetzen. Die Prophezeiung war größer, als die Juden es sich je vorgestellt hatten. Die prophetische Uhr ist nie stehen geblieben – nichts und niemand kann die Prophetie aufhalten – doch die Juden weigerten sich, mit ihr Schritt zu halten. Die Uhr tickte weiter, die Verheißungen erfüllten sich, das Reich wurde immer größer; allerdings bewegte sich die Prophetie auf den Füßen der heidnischen Kinder Abrahams voran.
Gott hat die Macht, alles zu tun, was Er will. Für Ihn ist es nichts Großes, den Tempel wiederaufzubauen oder die Tieropfer wiedereinzuführen. Aber das wäre eine rückwärtsgewandte Prophetie. Es würde bedeuten, etwas Herrliches mit etwas weniger Herrlichem zu ersetzen, mit etwas, das bereits abgeschafft wurde. Gott will nicht von einem Tempel in Jerusalem aus operieren. Er will weder ein levitisches Priestertum noch Tieropfer. Das priesterliche Amt ist bereits besetzt (Hebr 9:11). Das letzte Opfer wurde bereits dargebracht (Hebr 9:12; Hebr 10:12-14). Der Thron Davids ist bereits besetzt (Hebr 1:8). Und der Tempel Gottes ist bereits unter den Menschen, erfüllt von der Herrlichkeit Seiner Macht (Hebr 12:22-23).
SCHW. KARA BRAUN
1 thought on “WIRD DER TEMPEL IN JERUSALEM WIEDERAUFGEBAUT WERDEN?”
Grüß Gott liebe Schw. Klara,
sehr schön geschrieben, genau so verstehe ich die Schrift auch. Ich bin immer dankbar wenn Menschen mein Bibelverständnis teilen.
Gottes Segen und dem Herrn befohlen.
Ruben F. Born Nürnberg